Bleiberechtskämpfe von Roma seit 1989

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Mit dem Ende des Kalten Krieges und den Transformationsprozessen in Ost- und Südosteuropa verschlechterte sich die Situation der Roma dort erheblich. Der Nationalismus brach sich Bahn, offene Diskriminierung und Rassismus gegen Roma nahmen zu. Viele Roma flohen nach Westeuropa. In Jugoslawien entstanden die ethnischen Konflikte. Während dort die Kriege begannen, wurden Roma abgeschoben und gerieten zwischen die Fronten.

In Deutschland, gerade wiedervereinigt, herrschte eine ablehnende Stimmung gegenüber Geflüchteten, die sich auch in Gewaltexzessen äußerte, wie etwa beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Im August 1992 hatte dort ein rechtsextremer Mob tagelang Geflüchtete – darunter viele Roma – angegriffen und eine Unterkunft in Brand gesteckt. Die damaligen Debatten führten vor allem zum sogenannten Asylkompromiss, der das Grundrecht auf Asyl 1993 faktisch abschaffte.

Gegen den Umgang mit Geflüchteten und die drohenden Abschiebungen formierte sich jedoch auch Widerstand. Seit mehr als 30 Jahren kämpfen Roma um ihr Bleiberecht in Deutschland.

Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme war mehrfach Ort politischer Kämpfe um Bleiberecht. Am 29. August 1989 besetzten mehrere hundert Roma, darunter viele Kinder, das Gelände, um gegen die geplante Abschiebung von 1000 osteuropäischen Roma zu demonstrieren. Die Protestierenden hatten einen Holzhaufen aufgeschichtet und mit Benzin übergossen. Sie drohten, sich selbst zu verbrennen. Am 2. Oktober 1989 wurde das Gelände von der Polizei geräumt.

Am 6. Januar 1990 besetzten etwa 400 Roma den Kölner Dom aus Protest gegen das Ende des Abschiebestopps nach Jugoslawien. Die Gruppe wuchs schnell an und drei Tage später begab sie sich auf einen Protestmarsch für ihr Bleiberecht durch viele Orte Nordrhein-Westfalens. Als sie über mehrere Tage im Düsseldorfer Kunstpalast blieben, bestand die Gruppe bereits aus 1500 Menschen. Viele der Protestierenden litten zu diesem Zeitpunkt bereits an Erkältung oder Grippe. Die Aktion dauerte bis zum 1. Februar, als den faktisch staatenlosen Roma ein Versprechen auf ein Bleiberecht gegeben wurde, das die Regierung des Landes NRW später im Jahr brach.

Die protestierenden Roma nannten diese Protestform „Bettelmarsch“. Sie appellierten an die jeweiligen Städte, durch die der Marsch ging, ihnen Unterkunft zu gewähren, was diese jedoch oft ablehnten. Am 27. April 1990 machte sich eine Gruppe Roma, darunter viele Kinder, von Bremen aus auf den Weg nach Bonn. Ab dem 4. Juni blockierten die Menschen den Grenzübergang nach Holland und forderten ein Bleiberecht, was die Bundesregierung ablehnte. Die niederländische Regierung wollte prüfen, ob sie die Menschen aufnehmen könne.Am 30. Juli 1990 besetzten diese Roma-Familien sodann das niederländische Generalkonsulat in Hamburg, da sie akut von Abschiebung bedroht waren. Die Polizei räumte nachmittags gewaltsam die Besetzung. Über mehrere Tage lang demonstrierten die Menschen anschließend in Bremen.

Am 9. November 1990 fand ein Protestmarsch gegen die Abschiebung von Roma nach Jugoslawien statt. Die protestierenden Roma forderten vom UNHCR, sich gegen die drohenden Ausweisungen einzusetzen und wollten dafür vor dem Hauptsitz des UNHCR in Genf demonstrieren. Der Grenzübertritt der Protestierenden wurde jedoch verhindert, woraufhin die Gruppe den Grenzübergang eine Woche lang blockierte.

Nachdem die BRD im September 1990 ein „Reintegrationsprogramm“ für Roma in Mazedonien geschaffen hatte, protestierten Roma auch dagegen. Zu den Maßnahmen der Regierung zählte unter anderem der Aufbau von Unterkünften für abgeschobene Roma. Diese wurden abseits von Schulen, Arbeitsmöglichkeiten und anderer relevanter Infrastruktur gebaut. Einige der Häuser wurden schließlich von Mazedonier_innen angezündet, weil sie keine Roma als Nachbar_innen haben wollten.

Von Juni bis Dezember 1991 besetzten Roma den Platz neben dem Landtag von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und im Januar 1992 die Ausländerbehörde in Köln. Die Duldungen der Kölner Roma, die durch diese Aktion in der Ausländerbehörde verlängert wurden, wurden im Sommer des Jahres nicht noch einmal verlängert. Von Abschiebung bedrohte und teilweise bereits illegalisierte Familien besetzten daraufhin am 19. Juni 1992 die evangelische Antoniterkirche. Erst nach langem Widerwillen gewährte die Kirche den Menschen Kirchenasyl.

Vom 22. bis 26. August 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu massiven rechtsextremen Angriffen, bei denen unter anderem rumänische Roma angegriffen wurden. Der Pogrom führte nicht zu Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, sondern unter anderem zu einem Rückübernahmeabkommen mit Rumänien im September 1992. Das Abkommen sollte die Abschiebung von Roma, die aus Rumänien geflohen waren, erleichtern.

Im Oktober 1992 besetzten Roma das Dach des Osteuropa-Instituts in Köln. Sie protestierten gegen die Abschiebungen, aber auch gegen eine vom Institut herausgegebene Studie, die Verfolgung von Roma in Rumänien leugnete und damit das Rückübernahmeabkommen wissenschaftlich stützte. Die Studie wurde schließlich zurückgezogen.

Der größte Schlag gegen Geflüchtete erfolgte am 26. Mai 1993. An diesem Tag schaffte der deutsche Bundestag das Asylrecht, das bis dahin im Grundgesetz verankert war, faktisch ab. Bereits im Vorfeld hatten sich Hamburger Roma organisiert, um für ihr Bleiberecht zu kämpfen. Am 16. Mai 1940 hatte die nationalsozialistische Deportation der Roma und Sinti aus Deutschland in die Konzentrationslager begonnen. Am 16. Mai 1993 wollten die Hamburger Roma auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme ihrer ermordeten Vorfahren gedenken und gegen die Abschiebungen von Roma protestieren. Die Aktion hieß „Fluchtburg Konzentrationslager“. Die Forderungen an die Bundesregierung waren:

  • Die Anerkennung als ethnische und kulturelle Minderheit vor dem Hintergrund der besonderen Verantwortung des deutschen Volkes gegenüber den Überlebenden des Holocaust
  • Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien im Rahmen einer einmaligen humanitären Aktion ein gesichertes Bleiberecht zu gewähren, analog der Aufnahme von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion
  • Die Finanzierung der für Roma errichteten „townships“ in den Ghettos osteuropäischer Staaten sofort einzustellen
  • Roma-Flüchtlinge entsprechend der Genfer Konvention zu behandeln, und ihnen im Einklang mit der Konvention Flüchtlingspässe auszustellen
  • Sich verbindlich zur konkreten Umsetzung der bisherigen europäischen Resolutionen und Empfehlungen durch besondere Maßnahmen zu verpflichten
  • Die Resolution 62 der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vom 5. März 1992 mit dem Titel „Schutz der Roma“ nachträglich zu unterzeichnen (die BRD war bis dato das einzige westeuropäische Land, das sie nicht unterzeichnet hatte)
  • Bei der Vergabe von deutschen Hilfen, Staaten auszuschließen, die Menschenrechtsverletzungen an Roma begehen.

Ein Aufgebot von etwa 1400 Polizist_innen hielt die 300 Roma jedoch davon ab, die Gedenkstätte zu betreten, und das Gelände wurde abgeriegelt. Daher haben die Roma wochenlang vor der Gedenkstätte protestiert. Manche traten in den Hungerstreik. Am 26. Mai schlossen sich ihnen weitere Gruppen Geflüchteter und Unterstützer_innen an, um gegen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl zu demonstrieren.

Auch in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau protestierten seit dem 16. Mai 1993 Roma gegen ihre Abschiebung nach Mazedonien, Rumänien und in andere Länder. Zum Teil bereits untergetauchte Familien besetzten die evangelische Versöhnungskirche auf dem Gelände. Obwohl sie in ihren Herkunftsländern verfolgt wurden, waren viele Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden. Bis Anfang Juli hielten sich etwa 400 Roma in der Fluchtburg Dachau auf. Am 7. Juli mussten die Roma nach langen Verhandlungen das Gelände verlassen, um einer gewaltsamen Räumung zu entgehen. Die Aktion endete am 8. Juli 1993 mit einer Kundgebung auf dem Münchener Marienplatz.

Ein Teil der Protestierenden hatte am Tag davor versucht, nach Straßburg zu fahren oder zu gehen, um unter anderem beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage wegen Verstoß der BRD gegen das Völkerrecht einzureichen. Ein zentraler Punkt war, dass Deutschland geflüchteten Roma selbstständig eine Staatsangehörigkeit zuordnete, wenn sie keine besaßen oder sich zu keinem bestimmten Staat bekannten. Durch den Zerfall Jugoslawiens, wurden jedoch alle Roma mit der Aufteilung in ethnische Einzelstaaten de facto staatenlos und heimatlos, so die Protestierenden. Damit fielen sie unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention und dürften von der Bundesregierung nicht mehr abgeschoben werden. Die Protestierenden schafften es jedoch nicht über die Grenze. Stattdessen führten sie einen Protestmarsch durch Süddeutschland durch, der sie schließlich nach Genf führte. Dort protestierten schließlich etwa 260 Roma gegen ihre drohende Abschiebung. Die meisten Roma, die in Dachau protestiert hatten, wurden nach Jugoslawien abgeschoben. Mitten im Krieg.

In Frankfurter am Main setzten die Behörden Roma, die aus Rumänien geflüchtet waren, massiv unter Druck, ihnen eine rumänische Staatsangehörigkeit zu verschaffen, um sie abschieben zu können. Zu den Druckmitteln gehörte der Entzug von Sozialhilfe, Miete und Krankenschutz. Am 4. und am 14. Juni 1993 besetzten Roma daher das Sozialamt in Frankfurt am Main und forderten ein Ende dieser Schikanen sowie ein Bleiberecht. Sie schlossen sich den Forderungen der Hamburger Roma an.

Die Bleiberechtskämpfe dieser Jahre haben für einen Teil der Roma zu einem Aufenthalt in Deutschland geführt. Viele wurden jedoch abgeschoben. Einige leben bis heute nur geduldet in Deutschland oder sind nach der Abschiebung irgendwann wieder nach Deutschland oder in andere westeuropäische Länder geflohen. Manche befinden sich bis heute in einem Teufelskreis aus Flucht und Abschiebung.

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