Berlin: Informationsveranstaltung der protestierenden Roma
Berlin, 26. Mai 2016. Es war eine Aktion, wie sie sich das Zentrum für politische Schönheit wohl gern ausgedacht hätte: Am 22. Mai besetzte eine Gruppe von knapp hundert Roma, die meisten von ihnen nach Abschiebebescheid untergetaucht, das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Sie waren gekommen um zu bleiben – der Plan war den Organisator*innen zufolge, auf dem Mahnmal ein Protest-Camp zu errichten, um darauf hinzuweisen, dass die dort dokumentierte Diskriminierungs-Geschichte fortgeschrieben wird.
Sie spricht trotzdem
In der Nacht zum 23. Mai wurde das Mahnmal von der Polizei geräumt. Ein Teil der Gruppe hält sich weiterhin in Berlin auf und versucht eine Öffentlichkeit für ihr Anliegen zu organisieren und gleichzeitig Schlafplätze, Essen, Medikamente für die Kranken. Der Sprecher der Organisation “Alle bleiben” sagt: “Wir haben keine Kraft mehr.” Bei der Pressekonferenz im SO36 sitze ich neben Rosa (Name geändert), 13 Jahre alt. Ihre Eltern sitzen auf dem Podium. Ihr Vater sagt, dass sein Leben seit 1999 die Hölle ist. Ihr Haus im Kosovo sei zusammen mit über hundert anderen Roma-Häusern im selben Dorf in Brand gesetzt worden. Als seine Frau einen epileptischen Anfall bekommen hätte, habe er die Sanitäter gerufen, und sie seien nicht gekommen. “Wenn wir in den Kosovo gehen, sind wir tot”, sagt er, und: “Wenn ihr uns nicht helfen könnt, dann helft unseren Kindern. Mein Leben ist vorbei.” Seine Frau sitzt neben ihm und weint still.
Rosa neben mir guckt Löcher in die Luft. Sie hat geschlafen, als die Polizei kam, um das Mahnmal zu räumen. Sie weiß nicht, wo es jetzt hingeht, aber sie ist lebenstüchtig: Als ich sie vor der Pressekonferenz angesprochen habe, hat sie mich erst einmal darum gebeten, warme Klamotten für ihre Mutter und sie zu organisieren und mir im Gegenzug versprochen, von sich zu erzählen. Sie trägt jetzt einen Pulli von mir, und ich weiß, dass sie in Justin Bieber verknallt ist und Rapperin werden will. Sie hat eine tolle raue Stimme, was aber daran liegt, dass sie eine akute Mandelentzündung hat. Eigentlich soll sie nicht sprechen. Sie spricht trotzdem und erzählt davon, wie sie mit ihren Eltern vier Jahre in Schweden gelebt hat und dort auch ganz normal zur Schule gegangen ist. Aber dann mussten sie weg, weil die Abschiebung drohte.
Darf es Gründe geben, die deutsche Mahnmal-Ordnung zu brechen?
Seit zwei Jahren leben sie in Kiel, wo Rosa, wie sie sagt, viele Freunde hat. Hamburg findet sie aber cooler. Seit dem Abschiebetermin Mitte Januar ist die Familie zwischen Hamburg und Kiel gependelt und hat in von Hilfsnetzwerken organisierten wechselnden Privatwohnungen gewohnt. Neben Rosa sitzt Branka (Name auch geändert) und singt mit ihrer kleinen Tochter “Backe Backe Kuchen”. Sie findet Berlin schöner als Hamburg und Kiel und möchte hier bleiben. Später sitzt sie mit Rosas Eltern auf der Bühne und sagt: “Die deutsche Ausländerbehörde erlaubt uns nicht unsere Kinder zu retten.” Sie ist vor anderthalb Jahren aus Serbien gekommen, wo Roma-Kinder, wie sie sagt, vor allem und jedem Angst haben, weil sie vogelfrei sind.
Das Gespräch wird ins Publikum geöffnet, eine Frau von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration will einen Offenen Brief zu den Vorgängen verlesen, der in der Forderung nach einem durch die Geschichte begründeten Bleiberecht für alle Roma gipfelt. Ihr Elan ist den Leuten auf dem Podium zuviel, die Übersetzer weigern sich zu übersetzen, und das Publikum klatscht so lange, bis sie aufgibt. Es meldet sich eine weitere Frau aus dem Publikum, die zuerst ihren Respekt und ihre Solidarität bekundet und dann darauf hinweist, dass es in Deutschland eine Mahnmal-Ordnung gibt, die bestimmt, dass Orte des Gedenkens nicht für politischen Protest genutzt werden dürfen. Zum Schutz des Gedenkens. Damit am Holocaust-Mahnmal keine Neonazi-Demos stattfinden können, zum Beispiel. Also nicht ohne Grund. Darf es Gründe geben, diese Regel zu brechen? Es gibt sie, soviel steht fest. “Wir wollen keinen Staat”, schreit einer der Initiatoren seine Verzweiflung an die unbequeme Nachfragerin heraus. “Wir wollen nur die Möglichkeit in Sicherheit zu leben.” Ist das das Problem? Falsche Forderungen? Der Mann sagt außerdem noch: “Das Mahnmal ist unser einziger Ort.”