Es wäre ein Leichtes gewesen, die Verbleib der Familien über die Nacht zu ermöglichen. Immer wieder gab es diesen Vorschlag, immer wieder wurde er abgelehnt. Die Familien wussten auch nicht, wohin.
Sie wollten gerade an diesem Denkmal für ihre Rechte kämpfen, weil sie sonst keinen Ort haben. Nirgends.
In einem irren Versuch Härte zu zeigen waren die Vertreter der Stiftung schwach und hilflos, so überfordert, so unfähig, dass sie das Gelände stundenlang von der Polizei umstellt ließen und der Öffentlichkeit den Zugang verstellten. Ihnen kam es allein darauf an, keinen „Präzedenzfall“ zu schaffen, der zu dem Zeitpunkt längst eingetreten war. Völlig abwegig ist die Annahme, den Menschen eine Übernachtung im Denkmal zu erlauben würde nach sich ziehen, dass danach täglich fünfzig Roma den Ort einnehmen würden, um gegen ihre Abschiebungen zu protestieren. Sammelabschiebungen und Aufforderungen zur freiwillligen Rückkehr lassen den wenigsten Roma die Möglichkeit, sich überhaupt dort hin zu bewegen. Der Protest ist für diese Menschen gerade an diesem Ort wichtig.
Für die an diesem Abend anwesende Verzweiflung, für die auswegslose Lage der Menschen gab es wenig Verständnis. Das stundenlange Festhalten an der harten Linie sowie die permanente Polizeipräsenz führten zu einer eskalativen Situation, in der eine Frau einen epileptischen Anfall bekam. Eine katastrophale und eine beschämende Situation. Schutz sieht anders aus, Großmut sieht anders aus. Was gestern Nacht in Berlin geschehen ist, ist eine Demonstration der Unfähigkeit der Mächtigen, dem Leid der seit Jahrzehnten hin und her geschobenen Roma zu begegnen. An diesem symbolischen Ort mit Bezug zur vergangenen Verfolgung ist die krampfende Unnachgiebigkeit für uns zwar verständlich, aber auch bitter. Vor dem Hintergrund, dass das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin durch die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betreut wird verstehen wir das harte Vorgehen nicht.
Die Absprachen mit dem Zentralrat der Sinti und Roma, dass dieser Ort nicht für politische Proteste genutzt werde, sondern ganz dem Gedenken gewidmet sei, muss vor der Situation der Gesetzesverschärfungen und der täglichen Abschiebepraxis in Frage gestellt werden.
Wir möchten ein paar Fragen und Einwände dazu aufwerfen.
Was, wenn die Voraussetzungen für Vereinbarungen heute andere sind, weil zum Beispiel die Gesetzesverschärfungen von 2015 und 2016 die Situation der geflüchteten Roma durchweg verschlechtern? Wer heute aus einem sogenannten „sicheren Herkunftsstaat“ nach Deutschland flieht, dem wird jede Chance verwehrt, sich in der Gesellschaft umzusehen, die Sprache zu lernen, Kontakte zu Organisationen zu knüpfen. In der jetzt um Bleiberechte kämpfenden Gruppe sind einige, denen der Zugang zur Beschäftigung, zur Ausbildung und zu Rechtsbeistand verwehrt wurde. So sind sie heute nur deshalb in einer auswegslosen Lage, weil ihre Schutzgesuche von niemandem solidarisch begleitet wurden.
Was, wenn sich alle, die sich die Solidarität mit den »Roma und Sinti Europas« auf die Fahnen schreiben sich mit den Folgen dieser geänderten Lage auseinandersetzen müssten? Was, wenn das auch am Denkmal stattfinden müsste?
Wo endet die Erinnerung, wo beginnt die Politik – und wer entscheidet darüber? Uns stellen sich viele Fragen. Was, wenn auch die Anordnung einer Räumung des Denkmals durch eine Hundertschaft in Vollausstattung eine politische Handlung darstellt? Dann würde den von Abschiebungen bedrohten Roma kein politisches Handeln zugestanden, der Stiftung aber schon. Wie sich das mit einem Solidaritätsbegriff vereinbaren lässt, ist ausnahmsweise keine Frage. Das lässt sich nämlich keinesfalls vereinbaren.
Wir unterstützen die Forderungen der von Abschiebung bedrohten Roma im Kampf um ihr Bleiberecht und fordern dazu auf, sich diesen Forderungen anzuschließen und diese ebenfalls zu unterstützen!