Presseerklärung: Willkommenskultur im Emsland und beim
Verwaltungsgericht Osnabrück:
Abschiebungsandrohung für eine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern
– Nach 28 Jahren in Deutschland
„Niedersachsen ist ein weltoffenes Land mit einer langen
Einwanderungsgeschichte.
… Wir lehnen eine Trennung in „wir“ und „ihr“ ab. … Ein Klima der
Willkommenskultur
fängt bei den Ausländerbehörden an. … Ja zur Einbürgerung! Wir werden eine
Einbürgerungskampagne starten … Wir werden die landesrechtlichen
Möglichkeiten
für Einbürgerungen voll ausschöpfen um mehr Einbürgerungen, insbesondere
für die
ersten Generationen der Einwanderinnen und Einwanderer, zu ermöglichen
... Die
rot-grüne Koalition wird das humanitäre Aufenthaltsrecht (§ 25 Abs. 5
Aufenthaltsgesetz)
großzügig im Sinne der Betroffenen anwenden. Dabei muss sichergestellt
werden, dass
Ausländerinnen und Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, die
wegen ihrer
Verwurzelung in Deutschland entsprechend der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte nicht abgeschoben werden können.“
(aus: Erneuerung und Zusammenhalt - Nachhaltige Politik für
Niedersachsen, Koalitionsvertrag 2013-2018)
Diese Sätze aus dem Koalitionsvertrag der niedersächsischen
Landesregierung müssen für Suzana S.
klingen wie Märchen – aus einer anderen Welt. Suzana S. ist Roma. Ihre
Eltern stammen aus dem
Kosovo. Seit 28 Jahren lebt Suzana S. in Deutschland. Sie hat hier fünf
Kinder (14, 12, 10, 8, 5) geboren.
Sie arbeitet als Minijobberin in einer Bäckerei und zieht ansonsten ihre
fünf Kinder alleine groß.
Nun hat das Verwaltungsgericht Osnabrück in einem Beschluss vom
17.7.2014 dem Landkreis Emsland
grünes Licht für die Abschiebung nach Serbien gegeben - ein Land, in
dem Frau S. nie gewesen ist, und
dessen Amtssprache sie und ihre Kinder gar nicht sprechen. Ihr Anwalöt
Jan Sürig aus Bremen hat gegen
den Beschluss Beschwerde eingelegt. Weil die rot-grüne Landesregierung
außer blumigen Worten (siehe
oben) bisher nichts zur rechtlichen Absicherung von langjährig
geduldeten faktischen Inländern getan hat,
muss jetzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entscheiden -
das Innemninsterium in Hannover
hingegen glänzt bei der Zerstörung des Aufenthaltsrechts nach 28
Jahren Aufenthalt in Deutschland durch
Nichtstun.
Suzana S. wurde 1982 in Deutschland geboren. Als sie ein Jahr und zehn
Monate alt war verließen ihre Eltern
mit ihr Deutschland. 1988, im Alter von fünf Jahren kam sie zurück nach
Deutschland. Seitdem lebt sie
ununterbrochen hier.
Von 1988 bis Januar 2013 hatte sie immer nur auf eine Entscheidung im
Asylverfahren
warten müssen oder Duldungen erhalten – ein ganzes Leben lang die
Perspektive von nur wenigen Monaten.
Zugleich tobte in der Heimat ihrer Eltern – dem Kosovo – ein Krieg, in
dem unter den Augen der NATO-Truppen
die schlimmsten Pogrome gegen Roma in Europa seit 1945 von der UCK
begangen wurden. Noch heute leben
Roma im Kosovo zwangsweise am Rande der Gesellschaft in oft
menschenunwürdigen
Verhältnissen und werden in praktisch allen Alltagsbereichen diskriminiert.
Erst im Januar 2013, nach fast 27 Jahren Aufenthalt in Deutschland
erhielt Frau S. im Alter von 30 Jahren
das erste Mal eine Aufenthaltserlaubnis. Auch die fünf Kinder erhielten
Aufenthaltserlaubnisse. Der Grund war,
dass der getrennt lebende Vater ihrer fünf Kinder eine
Aufenthaltserlaubnis hatte. Doch auch diese
Aufenthaltserlaubnisse waren nur für fünf Monate befristet.
Im April 2014 hat der Landkreis Emsland mit einem 17 Seiten langen
Bescheid vom 10.4.2014 die Verlängerung
der Aufenthaltserlaubnisse für Frau S. und ihre fünf Kinder abgelehnt.
Die Begründung lässt sich in einem Satz
aus dem Bescheid zusammenfassen: “Abgesehen von den Sprachkenntnissen
und dem der gesetzlichen
Schulpflicht genügenden Schulbesuch ist nicht ersichtlich, dass Ihre
Mandanten besondere Integrationsleistungen
erbracht hätten.“ Das dürfte auf Millionen deutsche Kinder und auf
Millionen deutsche Erwachsene genauso zutreffen.
Ferner wirft der Landkreis Emsland Frau S. und ihren fünf Kindern noch
vor, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht
ausschließlich durch Arbeit sichern. Dass es bereits eine Leistung ist,
als alleinerziehende Mutter fünf Kinder
großzuziehen, wird in dem Bescheid nicht mit einem Wort erwähnt.
Zugleich hat der Landkreis Frau S. und ihren
fünf Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren die Abschiebung nach
Serbien angedroht, falls sie Deutschland
nicht innerhalb von 30 Tagen freiwillig verlassen.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat mit Beschluss vom 17.7.2014 - 5 B
147/14 - die Gewährung von
einstweiligem Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt,
dass Frau S. und ihre Kinder sich
"stets unerlaubt" in Deutschland aufgehalten hätten. Gemeint ist, dass
sie - bis auf etwa sechs Monate -
immer nur Duldungen hatten.
Weder Frau S. noch ihre Kinder sprechen serbisch. Frau S. kann neben
deutsch noch etwas albanisch, die Kinder
sprechen zuhause und in der Schule alle deutsch. Dass Frau S. und ihre
Kinder kein serbisch sprechen, ist den
Richterinnen und Richtern am Verwaltungsgericht in Osnabrück völlig
gleichgültig:
"Die Antragsteller haben sich - um die Passpflicht zu erfüllen - selbst
entschieden, serbische Pässe vorzulegen,
obwohl sie nach eigenen Angaben aus dem Kosovo stammen. Dann können sie
jetzt nicht darauf verweisen,
dass sie keine Kenntnis der serbischen Sprache hätten und deshalb nicht
nach Serbien zurückkehren könnten."
Die Unfähigkeit der Enkel und Kinder der Täter zu einem menschlichen
Umgang mit den Enkeln und Urenkeln
der Opfer ist beschämend. Eine »Willkommenskultur«, die es
achtundzwanzig Jahre nicht schafft, eine Chance
zum Ankommen, Aufenthalt und Bleiben zu beinhalten, verdient ihren
Namen nicht.
Jan Sürig
Ein wirklicher Machtmissbrauch, der die Flüchtlinge zu Marionetten macht.