Für Roma ist kein Staat „sicher“ – Kundgebung in Bremen gegen die geplante Änderung des Asylrechts

2014-06-10 13_51_45-Asyl vor Ort_ Bremen ist nicht gegen Roma - taz.de - Internet Explorer
5. Juni 2014
Für Roma ist kein Staat „sicher“ – Kundgebung in Bremen gegen die geplante Änderung des Asylrechts
Die Bundesregierung plant in einem aktuellen Gesetzentwurf, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Damit wird das Recht auf Asyl für Menschen aus diesen Staaten de facto abgeschafft.
In Bremen wurde dagegen mobilisiert, es kamen 150 Leute, es gab eine Postkartenaktion mit der verantwortliche Politiker/innen zur Gegenstimme aufgefordert wurden, Plakate, Banner, einige Reden… unter anderem aus der Recherchegruppe, mit der wir letztes Jahr in Serbien waren.
Wir fordern ein sicheres Bleiberecht für Roma in Deutschland – aus historischer und aus politischer Verantwortung.
 
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»Für Roma ist kein Staat sicher!«
Wir waren im Sommer letzten Jahres in Serbien, mit Anwältinnen, Aktivistinnen der Kampagne alle bleiben!, Journalistinnen, einer Ärztin haben wir abgeschobene Roma besucht. Wir waren in Belgrad, im Bergort Pirot, in Dörfern und Städten im Süden Serbiens. Wir haben mit hunderten Leuten gesprochen und waren in fast einem Dutzend Mahallas, den Roma-Siedlungen. Und, wir haben Gespräche im Ministerium und beim Border Police Department geführt. Was wir erfahren haben, haben wir in einem Bericht und auf diversen Veranstaltungen veröffentlicht.
Ein paar Wochen nachdem wir wiederkamen, haben wir von dem Vorhaben der Bundesregierung gehört, auch Serbien pauschal zu einem sicheren Herkunftstaat zu erklären.
Ende letzten Jahres haben wir ein Statement gegen die Sicherheitsvorstellungen der Bundesregierung formuliert, um die es auch hier und heute geht. »Für Roma ist kein Staat sicher!« hieß unsere Erklärung. Sie ist auch ausführlich im Internet dokumentiert: auf alle-bleiben.info.
Ich bin ganz sicher keine Expertin. Expertinnen sind zum Beispiel die Abgeschobenen, die wir in Serbien trafen. Daher übernehme ich deren Erzählung.
Die Worte, mit denen zu der heutigen Kundgebung mobilisiert wurde: »Sie hassen uns, sie wollen nicht, dass wir hier sind, in ihren Ländern«. Das sind die Worte von Jasmina, einer jungen Frau Mitte zwanzig, die in einem 1-Zimmer-Wohnraum aus Sperrholz und Teppich wohnt – in Belgrad haben wir sie kennengelernt, bis letzten Herbst wohnte sie in diesem Raum mit Vater, Mutter, Schwester, Bruder und Tochter. Seit der Abschiebung aus Deutschland, seit sechs Jahren. Ohne alles – kein Wasser, kein Bad, keine Küche, keine Papiere, keine Jobs, keine Krankenversicherung, keine Bildung, keine Hoffnung, alles viel schlechter als das Leben mit Duldung hier, und das ist auch kein Zuckerschlecken. Heute ist Jasmina mit ihrer Tochter alleine, in Serbien, ihr fehlen Papiere. Der Rest der Familie ist vor der Winterkälte nach Deutschland, der Bruder musste Deutschland schon wieder verlassen. Asylantrag? Schnell abgelehnt. Dies ist eines von x Beispielen dafür wie die Politik der Bundesregierung zur Unsicherheit beiträgt, wie sie diese verstärkt. Manchmal denke ich, wie sie diese Unsicherheit produziert. Viele von denen, die wir kennengelernt haben sind jetzt über mehrere Länder verteilt, die Familien auseinandergerissen.
Vielleicht hilft ein Vergleich. Aus unserer zwanzigköpfigen Reisegruppe sind in der Zwischenzeit nur zwei Leute umgezogen – im Radius von fünf Kilometern. Alle hier in Deutschland haben fließendes warmes Wasser, den Müll holt die Müllabfuhr, die Wände sind aus Stein, im Winter drehen wir die Heizung auf, die meisten haben ein zwei Urlaube gemacht und zwischendurch reden wir, hier, über die Sicherheit, dort.
In Belgrad bin ich mit Jasmina Wasser holen gegangen, durch eine Brache, über eine Schnellstraße, durch eine Siedlung, einen Abhang hinab, zu einer Baustelle, wo die Bauarbeiter manchmal, je nach dem, erlauben Wasser abzufüllen. Dann, schwer bepackt, wieder zurück. Auf dem Weg werden wir anzüglich und beleidigend angesprochen. Andere wollen wissen, was ich mit meiner Kamera da zu suchen hätte. Wartende an einer Bushaltestelle tun so, als wären wir aus Glas. Die Stimmung feindlich. Jasmina erzählt wie Mädchen sie mit Steinen bewerfen, tagsüber. Wie sie sich verstecken muss. »Wir sind doch auch Menschen!«, sagt sie.
Viele Leute erzählen uns von Angriffen, mit Messern, von Vergewaltigungen, von Zwangsräumungen. Einer sagt: »Sie kommen mit Messern und Molotowcocktails, nachts verfolgen sie uns. Die Polizei reagiert nicht auf Notrufe.« Vielleicht noch als Hintergrundinformation: Was den rechtlichen Status betrifft sind viele Roma unsichtbar, zum Beispiel wenn sie woanders leben, als sie registriert sind und aufgrund dessen keinerlei Zugang zu Sozialhilfe / Gesundheitsversorgung / Bildung haben. In Bezug auf Rassismus sind sie in den ex-jugoslawischen Staaten sichtbar, optisch erkennbar und können nicht zwischen anderen untertauchen (wie beispielsweise in Deutschland).
Ein paar Tage später sind wir an einer nahegelegenen Straße, an deren Rand Jasmina, ihr Bruder und ihr Vater Sachen verkaufen, die sie im Müll gefunden, gewaschen und repariert haben. Wir sollten hin kommen, journalistische Aufmerksamkeit aus Westeuropa, davon versprechen sie sich ein paar Minuten Zeit um zu verkaufen, bevor die Kommunalpolizei sie wegschickt und ihnen, wenn sie sich wehren, die Sachen wegnimmt. Die Kommunalpolizei: eingerichtet auf Geheiß der EU. Die EU wird Serbien, Bosnien Herzegowina und Mazedonien aufnehmen, wir müssen nicht spökenkieken, um das vorherzusagen. In fünf, sechs Jahren. Die Ordnung wird bis dahin gesichert. Die Polizeistrukturen werden geändert, die Grenzen (für diesen Moment EU-außen) abgeschottet. Für die Roma, die wir sprechen, wirkt sich so ziemlich jede dieser ordnungssichernden Maßnahmen gegenteilig aus. Im EU-Bewerbungsprozess werden Müllcontainer »diebstahlssicher« unterirdisch versenkt. Über die Millionen, die in diese Müllcontainer-Umbauaktionen gesteckt werden, will ich jetzt gar nicht reden. Die Müllsammelnden sind wiederum schon Expertinnen – sie verstehen an diese unterirdischen Abfälle zu gelangen. Müllrecyclen wird nicht unmöglich, nur sehr viel gefährlicher. Selbst Müllsammeln ist: unsicherer geworden.
Womit wir bei dem wären, was Sicherheit eigentlich bedeutet. Sicherheit ist Besitzstandwahrung. PasswortGeschützte Privatsphäre. SichtGeschütztes Eigentum. Sicherheit gilt ganz sicher nicht für rechtlich Unsichtbare. Wir haben in Mahallas gefragt, wo das Geld von der EU landet, dass für Minderheiten-Rechte ausgegeben werden soll. Viele haben die Frage nicht verstanden. Welches Geld? Andere haben bitter gelacht: ein schlechter Witz.
Sicherheit schützt diejenigen, die Recht und Gesetz definieren, das ist nicht ganz zufällig hier wie dort gleich. Es wäre daher dumm, lediglich mit dem Finger auf unhaltbare Zustände in Südosteuropa zu zeigen und zu sagen: schlimm ist es da. Aufmerksame Betrachterinnen verorten Probleme hier, wo sie auch mit hin gehören. Die NATO, die EU und auch Deutschland sind weder »neutral« noch »unbeteiligt«. Wenn irgendwer in diesem Komplex diese beiden Begriffe für sich in Anspruch nehmen könnte: es wären Roma.
Sie sind betroffen: Menschen, in deren Familien es über Generationen, seit Jahrhunderten Verfolgungsgeschichte gibt. Wir haben Menschen kennengelernt, die uns eher beiläufig von dem für Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppten Großvater erzählten, der nie eine Entschädigung erhielt. Die Ausgrenzungs-Politik der Bundesregierung trifft die Nachkommen derer, die von den Deutschen während des Nationalsozialismus als Zwangsarbeiter ausgebeutet, die deportiert und vernichtet wurden. Sie trifft diejenigen, die vor den Kriegen der neunziger Jahre und den damit einhergehenden Vertreibungen aus Exjugoslawien flüchten mussten, hier Jahre leben – und dann abgeschoben werden. Wenn sie wiederkommen, kommen sie »zurück«. Zuhause, zurückkehren, das meint Deutschland, für manche Bremen.
Kurzsichtig ist die Rede von Wirtschaftsflüchtlingen. Die Haltung hinter den Worten ist absurd und darin rassistisch gegen Roma. An jeder anderen Stelle sollen Arbeitende maximal flexibel sein, aus wirtschaftlichen Gründen umziehen und selbst versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wie es neoliberal nützlich ist.
Dabei ist die Not vieler Roma in Südosteuropa sicherlich Fluchtgrund genug! Es ist grob fahrlässig, bei der abfälligen Rede von Wirtschaftsflüchtlingen, bei der Lage der Roma die Verschränkung von Rassismus und Elend nicht sehen zu wollen und zu leugnen. Dazu ist es geschichtsrevisionistisch die deutsche und westeuropäische Mitbeteiligung an der Vernichtung und Kontinuität der Verfolgung und Diskriminierung zu leugnen.
Wir fordern daher ein sicheres Bleiberecht für Roma in Deutschland – aus historischer und aus politischer Verantwortung.
 

 

 

 

One thought on “Für Roma ist kein Staat „sicher“ – Kundgebung in Bremen gegen die geplante Änderung des Asylrechts

  • June 11, 2014 at 11:03 am
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    Ich bin traurig. Weil meine Rede wurde nicht korrekt in Deutsche übersetzt. Probleme in Mazedonien und warum Mazedonien ist kein sicheres Land für Roma-Nation.

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