WIR SIND HIER, WEIL IHR UNSERE LÄNDER ZERSTÖRT!
WIR SIND HIER, WEIL IHR UNSERE LÄNDER ZERSTÖRT!
FLÜCHTLINGSTRIBUNAL GEGEN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
VEREINT GEGEN KOLONIALES UNRECHT – BERLIN 2013
Die auf dem Mariannenplatz in Berlin Kreuzberg von Einzelpersonen oder Gemeinschaften vorgetragenen Anschuldigungen gegen die BRD die unterschiedlichen Aspekte der tödlichen Flüchtlingspolitik der BRD.
Flüchtlinge aus dem gesamten Bundesgebiet kommen hierzu trotz Repressionen zusammen und klagen die BRD an, Flucht und Elend zu verursachen und die Überlebenden mit Abschiebung zu bestrafen. Sie dokumentieren ihre Klagen und Bekanntmachungen in den Communities und in der Zivilgesellschaft.
Vom 13. bis zum 16. Juni 2013 versammelten wir uns, Flüchtlinge und MigrantInnen aus allen Bundesländern und Mitglieder verschiedener Netzwerke und Organisationen in Berlin und klagten auf dem Internationalen Flüchtlingstribunal die Bundesrepublik Deutschland öffentlich an.
Das Flüchtlingstribunal ist Ausdruck und Ergebnis der jahrelangen Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen nicht nur in der BRD. Neben VertreterInnen der lokalen und regionalen Flüchtlingsgemeinschaften waren auch Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Ausland anwesend. Ferner stärkten Mitglieder unterschiedlicher Netzwerke und Organisationen das Tribunal durch ihre Beteiligung.
Folgende Organisationen trugen sowohl mit ihren Beiträgen als auch organisatorisch zur erfolgreichen Durchführung des Tribunals bei:
http://thecaravan.org/node/3833
http://www.refugeetribunal.org
• Mitglieder von Afrique-Europe Interact
• AGIF (Föderation der ArbeitsmigrantInnen in Deutschland e.V.)
• ARACEM (Assoziation der Rückgeschobenen aus zentralafrikanischen Ländern in Mali)
• Initiative Christy Schwundeck
• Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
• SKB (Sozialistischer Frauenbund)
• IMA (International Migrant Alliance)
• Sudanese Initiative for the Pursuit of Justice (SIPJ)
• THE VOICE Refugee Forum
• Welcome to Europe
• Women in Exile und
• Women Space Berlin
Das Netzwerk der KARAWANE Flüchtlingsfrauenbewegung, das sich im April bei der Flüchtlingsfrauenkonferenz formiert hatte, eröffnete am 13. Juni das Tribunal mit einer Frauendemonstration. Workshops für Frauen und ein Anklageblock von Frauen haben den Willen unserer Schwestern untermauert, die Position der Frauen innerhalb der Bewegung weiter zu stärken und die Selbstermächtigung von Frauen zu beschleunigen.
Am Vormittag des 15. Juni betreten einer Gruppe von Frauen die Bühne, bereit, ihre Geschichten und die ihrer Familien, ihrer Kinder zu erzählen. Sie berichten als Zeuginnen von Kriegen, Vertreibung und Bedrohung durch staatliche, polizeiliche und behördliche Instanzen. Sie fragen heute nicht nach Gerechtigkeit, sie erbitten sie nicht, sie fordern sie ein.
Jede Frau, die auf dem Podium sprechen möchte, bekommt die Zeit und die Aufmerksamkeit der ZuhörerInnen an diesem Vormittag. Übersetzt wird (fast ausschließlich von anderen Frauen) in Englisch und Deutsch.
Niemand ist hier allein, niemand ausgestellt. Im Gegenteil, die Frauen stärken der Rednerin den Rücken, einfach, indem sie auf der Bühne, ganz in der Nähe, ganz praktisch solidarisch sind. Im Publikum auf dem großen Platz wird es still.
Eine Frau, die mit Kind und Mann aus Serbien geflohen ist, nimmt Platz. Es ist nicht das erste Mal, dass sie vor so vielen Menschen spricht. Unter dem Namen Roma Thüringen organisiert sie, gemeinsam mit anderen, Aktionen. Dort vernetzen sie sich und sprechen, wie anlässlich des Internationalen Tags der Roma am 8. April 2013, öffentlich über die Ausgrenzung und den Rassismus gegenüber Roma.
Heute spricht sie über ihr Leben in Serbien. Wie sie mit ihrem Mann keinerlei Hilfe oder Unterstützung von Polizei oder Rechtsprechung bekam, als sie der Frauenarzt zum Abbruch ihrer Schwangerschaft mit Zwillingen zwang – ohne Darlegung von Gründen oder der Möglichkeit einer eigenen Entscheidung über das ungeborene Leben ihrer zwei Kinder. Es zeigt sich hier, wie rechtlos und menschenverachtend der Umgang mit Roma bei Institutionen, bei der Polizei und sogar im Bereich der medizinischen Versorgung ist. Bis heute hat die Frau weder eine Erklärung noch eine Entschuldigung oder irgendeine Form der Reaktion auf die unfreiwillige Maßnahme erfahren. Sie erzählt Davon, wie sie mit ihrem Mann in eine andere Wohnung in Serbien umgezogen ist, nicht ahnend, dass in ihrer Nachbarschaft auch NationalistInnen wohnten, die sie bedrohten und zuletzt brutal attackierten. Sie, die damals erneut schwanger war, wurde so schwer verletzt, dass sie ihren Sohn verfrüht im sechsten Monat zur Welt brachte. Wieder entmündigt, bestimmten diesmal Ärzte ohne Zustimmung der Eltern über die Behandlung des zu früh geborenen kleinen Jungens. Er wurde den beiden ganze drei Monate zur Behandlung in einem weit entfernten Krankenhaus weggenommen, ohne, dass sie ihn sehen oder besuchen konnten. Schließlich sahen sie sich gezwungen, den Ort, an dem so unwürdig über sie bestimmt wurde, zu verlassen.
Während die junge Frau mit den blond gefärbten Haaren spricht, sind die Zuhörenden bis an den Bühnenrand herangekommen. An diesem hellen Sommertag war es sehr still geworden. Keine*r spricht mehr, alle hören, spüren den Schmerz, der in den Erinnerungen dieser Frau verborgen sein muss. Ein kleiner Junge läuft auf die Bühne und krabbelt auf den Schoß seiner Mutter. Er lächelt in die Gesichter, die seine Mutter immer noch mitfühlend anschauen. Man sagt, dass Kinder die Zukunft sind. Die Stärke und die Hoffnung, die das in den Menschen auslöst, die ist sichtbar, sie ist spürbar. Bis in die letzte Reihe.