alle bleiben! – nur bitte nicht im Kosovo
Die Sonne brennt wie die Herzen der Menschen. Seit einer Woche sind wir im Kosovo, in diesem Land, das nur halbfertig zu sein scheint. In dem Land, wo sich seit dem Krieg Grenzen ziehen zwischen Albanern, Serben und den hier lebenden Minderheiten, allen voran die der Roma. Wir sind hier, um die Menschen zu sehen, die wieder hier sind, die vor langer oder kurzer Zeit aus Deutschland abgeschoben worden sind. Um zu sehen, ob sich die Versprechungen der Bundesrepublik bewahrheitet haben, ob es hier alles gibt, was man zum Leben braucht: ein Dach über dem Kopf, Geld für Essen, genug Arbeit, sowie Bildung für die Kleinen. Wir sind von Priština nach Prizren gefahren, wir waren in Gjakova, Landovica und Plementina und haben überall völlig verschiedene Menschen getroffen: Rückkehrerfamilien, Personen die alleine abgeschoben wurden und deren Verwandtschaft noch in Deutschland lebt und die, die diese unterstützen so gut sie können, wie den Roma Verband Iniciativa 6 aus Prizren. Alle waren sich einig: diese Menschen sollen in Deutschland bleiben, denn hier erwartet sie nichts.
Wir haben Morana Mita in Landovica besucht, der nach 12 Jahren Aufenthalt in Deutschland abgeschoben worden ist. Er kam mit dem letzten Flieger der aus Deutschland nach Priština, am 18. August 2011, und lebt seitdem im Haus seiner Tante, welche in Deutschland wohnt. Er hat Glück, dass er eine Unterkunft hat, doch auch diese ist wirklich nicht mehr, als ein Dach über dem Kopf: feuchte, schimmlige Wände, Fenster ohne Scheiben, kein Strom. Dort lebt er mit seiner Großmutter und seinem behinderten Bruder, er sagt, dass er nachts aufwacht und schreit, dass er verrückt wird, weil er nicht glauben kann, was passiert. Seine Mutter verstarb vor drei Jahren, nun kehrt er an den Ort seiner Kindheit zurück, an dem sie jetzt fehlt – und er doch lieber der gewesen wäre, der gestorben ist.
In Gjakova könnten die Kontraste kaum großer sein. Dieses kleine Städtchen in der Nähe von Prizren hat ein, zwei belebte Straßen mit Cafés und Bars. Es gibt eine hübsche Neubausiedlung mit geputzten Fassaden, doch nur eine Minute weg von dort liegt die Mülldeponie und direkt nebenan die Roma-Siedlung. Es ist dreckig, es stinkt nach verbranntem Müll, die Hütten sind notdürftig zurechtgezimmert, die Kinder spielen am Feuer brennender Autoreifen. Wir treffen dort Hasan Krasniqi, der schon 2006 abgeschoben worden ist. Ihm fehlt es vor allem an Geld für notwendige Medikamente, seine zwei Kinder sind ständig krank und er kann nichts für sie tun, er bekommt hier weder Arbeit noch Sozialhilfe. Er selbst wurde bereits schwer angefahren, seine Farbe sei das Problem. Das waren Albaner, sagt er, hier könne man sich nirgends sicher fühlen.
In einem anderen Teil der Stadt, ein wenig abseits, lebt auch die Familie von Agron Kryezi. Vor einem Jahr ist der Familienvater mit seinen acht Kindern und seiner Frau „freiwillig“ zurückgekehrt, weil er ihnen eine gewaltsame Abschiebung ersparen wollte. Er baute in der Zwischenzeit ein kleines Haus, in dem sich nur das Nötigste befindet: ein paar Matratzen, ein Kühlschrank, ein kleiner Herd, ein Waschbecken. Die kleine Schrankwand im Wohnzimmer ist leer, im Fernsehen läuft ein deutsches Programm. Jedes seiner Kinder ist in Deutschland zur Schule oder in den Kindergarten gegangen, auf Albanisch können sie nicht einmal bis zehn zählen. Sie sind in Deutschland geboren, das Kosovo ist für sie fremd, auch Freunde haben sie hier noch keine gefunden. Ihr Vater hatte eine Arbeit in Deutschland, hier hat er keine Chance, etwas zu finden und auch ihm ist die Sorge um seine Kinder die größte.
|
In Priština, der Hauptstadt des Kosovos, treffen wir Selbije Begani mit ihrem Mann und ihren vier Töchtern. Als die Mutter mit ihren Kindern im April abgeschoben wurde, blieben ihnen zwanzig Minuten, um Sachen zu packen. Nachts um drei Uhr wurden sie von Hamburg nach Düsseldorf gebracht, um nach über zehn Jahren ins Kosovo auszureisen. Selbije floh mit zwölf Jahren aufgrund des Krieges von hier, sie verbindet dieses Land mit Angst und Unsicherheit. In ihr Haus wurden schon mehrmals Steine geschmissen, ihr Mann trägt Narben an Arm und Hals, weil man ihn verprügelte. Beschimpfungen sind alltäglich. Wir lassen die Kinder nicht mehr raus, sagen sie, es tue ihnen weh, aber es sei einfach zu gefährlich. Die Vermieterin der Wohnung habe auch Angst, allein aus dem Grund, dass eine Roma-Familie bei ihnen wohnt. Dieses Gefühl liegt in der Luft, nachdem wir gehen, wird die Tür schnell verschlossen, die Kinder hineingerufen.
Die Wohnung konnte zunächst für einige Monate bezahlt werden, danach weiß die Familie weder, wo sie hin soll, noch, von welchem Geld sie leben soll. Selbije findet nicht einmal einen Job als Putzhilfe, es gibt hier nichts, sagt sie, und all die Versprechungen, die ihr im Buero von URA II gemacht wurden, wurden nicht gehalten. Kein Geld für Essen, kein Geld für Brennholz, kein Geld, um Milch und Windeln für die jüngste Tochter zu kaufen, kein Geld für Medizin.
Wenn man diesen Teil des Kosovo besucht, in dem die Roma am Stadtrand leben, auf Müllhalden, in der Nähe von Kraftwerken, die Flüsse und Luft verunreinigen, in kleinen feuchten, zugigen Häusern oder in Hütten aus Brettern und Planen, ohne Zugang zu Wasser und Strom, versteht man, dass man sich im ärmsten Land Europas befindet. Genauso, wie man versteht, dass die Politik Deutschlands am Menschen vorbeigeht, dass sie Kinder und Jugendliche und deren Familien in einer Situation zurücklässt, die ihnen nicht die Chance gibt, ihre Zukunft eigenständig zu gestalten, die ihnen alles nimmt, was sie bisher hatten und zu Hause nannten. Eiskalt macht man diese Menschen kaputt, die nicht verstehen, was passiert, denen man den Boden unter den Füssen wegzieht. Traumatisiert bleiben sie hier zurück, vollkommen unfähig, sich zu integrieren – als gäbe es Strukturen, in die man sich integrieren könnte.
Geschrieben von Lisa
9. September 2011, Priština
Es sollen weitere Berichte und eine Videodokumentation über diese Recherchereise entstehen.
Pingback: URL