Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Bremischen Anwaltsverein: Das Asylpaket II gefährdet das Leben von geflüchteten Menschen und ist verfassungswidrig

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Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Bremischen Anwaltsverein:
Das Asylpaket II gefährdet das Leben von geflüchteten Menschen und ist verfassungswidrig
Zum wiederholten Male sollen in einem sonst nicht gekannten Eiltempo Gesetzesänderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht im Deutschen Bundestag beschlossen werden. Noch in der 7. Kalenderwoche soll die erste Lesung im Bundestag stattfinden und in der darauffolgenden Woche die 2. und 3. Lesung. Den Fachverbänden, z.B. dem Deutschen Anwaltsverein, sollen nur wenige Stunden zur Anhörung gewährt werden und es ist kaum zu erwarten, dass eine ernsthafte Bereitschaft besteht, sich mit den bestehenden Bedenken auseinanderzusetzen.
So sollen subsidiär Schutzberechtigte zeitlich begrenzt für zwei Jahre vom Familiennachzug ausgeschlossen werden. Teilweise wird die Kritik an dieser Regelung mit dem Hinweis relativiert, dass zahlreichen Geflüchteten, z.B. aus Syrien und dem Irak der Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylVfG zuerkannt würde und diese davon nicht betroffen seien. Es ist aber darauf aufmerksam zu machen, dass wiederholt formuliert und angedeutet wurde, dass auch diesen Flüchtlingen zukünftig nicht mehr diese Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden soll, sondern sie „nur“ noch als subsidiär Schutzberechtigte anzuerkennen seien. Es bestünde für den Bundesinnenminister de Maziere die Möglichkeit mit einer Weisung den Bediensteten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufzugeben, für diese Menschen keine positiven Entscheidungen über eine Flüchtlingsanerkennung mehr zu treffen. Zuzutrauen ist ihm dies jedenfalls. Damit kann faktisch der ohnehin schon äußerst schwierige Familiennachzug „ausgehebelt“ werden. Die Regelung verletzt Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 des GG und aus Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Weiterhin soll mit der Verfahrensbeschleunigung ermöglich werden, lebensbedrohlich erkrankte Personen abzuschieben, wenn die Erkrankung schon vor der Einreise bestand oder eine medizinische Versorgung im Herkunftsland „theoretisch möglich“ ist. Dies ohne Einzelfallprüfung. Substantiierte fachärztliche Atteste sollen innerhalb einer Woche vorgelegt werden, sonst werden sie nicht mehr berücksichtigt. Psychotherapeutische Bescheinigungen sollen keine Berücksichtigung finden.
In einer Stellungnahme vom 1.02.2016 hat die Bundespsychotherapeutenkammer erklärt: „Die geplanten Regelungen diskriminieren gezielt psychisch kranke Menschen“. Traumatisierte Flüchtlinge werden unter den Generalverdacht gestellt, ihre Erkrankungen vorzutäuschen. So wird in der Entwurfsbegründung u.a. argumentiert, bei traumatisierten Flüchtlingen soll eine rein medikamentöse Behandlung im Heimatland ausreichend sein. Diese These widerspricht jeder anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnis und ist in besonderem Maße zynisch. Mit der Regelung wird billigend und bewusst der Tod und die schwere gesundheitliche Schädigung von Menschen in Kauf genommen und widerspricht elementaren Grundrechten der Verfassung (Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG).
In Schnellverfahren sollen bestimmte Flüchtlinge innerhalb einer Woche in besonderen Aufnahmeeinrichtungen ein Asylverfahren durchlaufen und innerhalb von drei Wochen abgeschoben werden können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet in diesen Fällen in einer Woche. Innerhalb einer weiteren Woche kann eine Klage und ein Eilantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht gestellt werden. Das Verwaltungsgericht darf ihn nicht mündlich anhören, sondern soll ebenfalls – aufgrund der Aktenlage – innerhalb von nur einer Woche entscheiden. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird ausgehebelt – der Richter darf nur berücksichtigen, was der Betroffene vorgetragen hat.
Die Einrichtungen sollen fernab von städtischen Zentren eingerichtet werden. Es ist völlig ungeklärt, wie z.B. Beratungen und Rechtsschutz faktisch in Anspruch genommen werden können. Es ist kaum denkbar, wie Flüchtlinge, die sich erst eine Woche in einer abgelegenen Aufnahmeeinrichtung aufhalten, den dortigen Bereich nicht verlassen dürfen, mit den Verhältnissen im Land nicht vertraut sind, innerhalb der Frist von einer Woche Klage- und Eilanträge bei den Verwaltungsgerichten einreichen können.
Offensichtlich ist dies auch nicht gewollt. Es liegt nahe, dass diese Regelung gegen den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährten Grundsatz auf Gewährung des effektiven Rechtsschutzes verstößt.
Der Öffentlichkeit wird suggeriert, diese Regelung betreffe nur die Asylsuchenden die ohnehin keine Verfolgungsgründe geltend machen könnten. Aber abgesehen von der grundsätzlichen Kritik an dieser Regelung:
Es ist vorgesehen, dass Geflüchtete schon dann dieser Regelung unterworfen werden können, wenn sie ohne Pass und gültige Papiere einreisen. Es ist aber geradezu für viele in der Heimat individuell Verfolgte typisch, dass sie keinen Pass oder gültige Papiere vorlegen können und oft erst mit einiger zeitlicher Verzögerung Identitätsnachweise beigebracht werden können. Viele politisch Verfolgte können es gar nicht riskieren, ihre Papiere bei der Flucht aus der Heimat mit sich zu führen.
Die bedenkliche Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten (Marokko, Algerien und Tunesien) ist nun nicht mehr unmittelbar Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens in den kommenden Wochen, da diese Regelung im Bundesrat zustimmungspflichtig ist und befürchtet wurde, dass nicht alle rot-grün regierten Bundesländer auf die Schnelle zustimmen würden.
Ginge es wirklich um die Beschleunigung der Asylverfahren, so gäbe es einfachere Mittel: Statt mit fragwürdigen Neuregelungen bei allen beteiligten Behörden und Gerichten für Verunsicherung zu sorgen, sollten Mitarbeiterinnen eingestellt und Verwaltungsabläufe optimiert werden.

Gez. Albert Timmer, Rechtsanwalt
(Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Bremischen Anwaltsverein)
Weitere Einzelunterzeichner_innen (vorläufig) : RA Alexander Wagner, RA Jan Sürig, RA Sven Sommerfeld, RA Armin von Döllen, RA Bekir Öztürk, RA Naif Kaya, RA Max Hübner, RA Alexander Jung, RAin Claudia Schneider, RA Detlef Driever, RA Bernd Rasehorn, RAin Nesime Tuncel, RA Ismail Cengiz

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