Eng ums Herz: Bundesregierung berät über »Erstaufnahmelager« (Merkel) für die »von denen wir wollen, dass sie unser Land wieder verlassen« (De Maziere)
Bundesregierung berät über »Erstaufnahmelager« (Merkel) für die »von denen wir wollen, dass sie unser Land wieder verlassen« (De Maziere)Nach der Berliner Konferenz am 8. Mai 2015* soll auf der Konferenz der Ministerpräsidenten am 18. Juni 2015 beschlossen werden, was die Situation von Schutzsuchenden aus Serbien, Bosnien Herzegowina, Mazedonien und Kosovo noch mehr verschärfen würde: Asylsuchende aus einigen Ländern sollen nicht mehr auf die Kommunen verteilt, sondern in eigens dafür einzurichtenden Zentren untergebracht und schnellstmöglich abgelehnt werden.
Vor allem für Roma, die in den Ländern doppelter Verfolgung ausgesetzt sind, hat diese Politik fatale Folgen. In Sammel-Sonderlagern untergebracht ist der Zugang zu Beratungsstellen, Anwälten, Unterstützung etc. noch schwieriger und die individuelle Prüfung der Fluchtgründe nicht gewährleistbar.
Innenminister De Maziere erklärte das mit der »Kraft der Differenzierung durch getrennte Verfahren … von der Aufnahme bis zur Rückführung«. Die Ungleichbehandlung von den Flüchtlingen, deren Chance bleiben zu dürfen hoch ist und denen, »von denen wir wollen, dass sie unser Land wieder verlassen« soll jetzt beschlossen werden. Flüchtlinge mit »niedriger Chance« auf Asyl sollen künftig konzentriert untergebracht werden, nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden, sondern aus den Unterkünften heraus abgeschoben werden. Damit soll die Dauer der Verfahren verkürzt und es solle »normaler« werden, die Verfahren direkt in den Unterkünften abzuwickeln, sagte Angela Merkel. Dass unter diesen Umständen individuelle Fluchtgründe untersucht werden könnten ist nicht vorstellbar. Die Unterkünfte nennt Frau Merkel »Erstaufnahmelager«.
Das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Sitz in Nürnberg und Außenstellen in den Bundesländern, soll 2000 Stellen mehr bekommen, auch im Auswärtigen Amt und bei der Bundespolizei soll das Personal aufgestockt werden. Damit sollen alle Verfahren beschleunigt werden, auch die ausstehenden sollen aufgearbeitet werden.
Für die Flüchtlinge, die bleiben können, bedeutet das eventuell kleine Verbesserungen im Zugang zu Sprache, Ausbildung, Beruf – das ist, wenn es denn umgesetzt würde, selbstverständlich zu begrüßen. Doch wirken die neuen Pläne in Zeiten erhitzter Debatten über Kosten und Verteilung von Geldern auf die Bundesländer insgesamt eher wie eine Befriedungsstrategie. Die Kommunen sollen entlastet werden, Neider und Wohlstandschauvinisten sollen beruhigt werden (ein sinnloseses Unterfangen, weil rationale Argumente nicht ziehen bei Pegida und Co.). Diese Einsicht ist in der Regierung nicht angekommen: Bestehende Probleme zu lösen sei ein wirksamer Schutz gegen Radikalisierung und verhindere rechts wie links »Futter für Volksverführer«, sagte Ministerpräsident Seehofer.
Viel sinnvoller wäre von Sonderbehandlungen und Pauschalabschiebungen in Lager abzusehen – und stattdessen eine bessere Verteilung zu fördern. Jede Sammelunterbringung, auch in den Kommunen, stigmatisiert. Dagegen wäre eine Förderung von menschenwürdigen Bedingungen für Ankommende perspektivisch viel logischer. Einfache Zugänge zum Recht auf Bildung, seien es Schulbesuche oder Sprachkurse, zum Arbeitsmarkt, zu Ausbildungsstellen, zu Therapiezentren, zu Beratungsstellen oder anwaltlicher Vertretung wären vernünftig.
Stattdessen wird auf Grundlage der Deklaration sicherer Herkunftsstaaten in berechtigte und unberechtige Flüchtlinge unterschieden. War schon die Behauptung von Sicherheit in einigen exjugoslawischen Staaten weniger eine Fehleinschätzung als vielmehr politisches Kalkül um sich der Leute schnell(er) zu entledigen, sind die geplanten Maßnahmen wie konsequente nächste Schritte.
Alle wissen, wie es in den vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten aussieht.
Die Situation dort zu beschreiben ist müßig, und wir sind müde. Müde, weil wir früh aufgestanden sind, um eine Abschiebung zu verhindern, oder weil wir lange wach waren, um gegen eine Sammelabschiebung, die Abfahrt eines Busses oder den Start eines Fliegers zu protestieren.
Während einerseits die Worte Vielfalt und Willkommenskultur Konjunktur haben ist die Spaltung in gute und schlechte Migration in vollem Gange. Und die Stimmen dagegen sind viel zu wenig gehört.
Wir lehnen die Hierarchisierung von Flüchtlingen ab und denken, dass jede einzelne Geschichte unterschiedlich ist und jeder einzelne Fall berücksichtigt werden muss. Wer sich die verschiedenen Geschichten ansieht wird bemerken, dass auch in als sicher deklarierten Staaten kriegerische Auseinandersetzungen, rassistische Gewalt, strukturelle Diskriminierungen, lebensgefährliche gesundheitliche oder wirtschaftliche Notlagen etcetera vorkommen und Gründe zur Flucht sind.
Wer sich den europäischen Machtkomplex und dessen Geschichte ansieht wird feststellen: Europa hat nicht das Recht, sich zu schützen. Deutschland auch nicht. Längst ist ein Umdenken überfällig – sei es aus Solidarität oder Menschenrechten. Sei es um die Strukturen des Zusammenlebens zu gestalten. Die geplante Kasernierung von ungewollten Flüchtlingen in Abschiebelagern ist würdelos, sie ist jenseits von allen Vorstellungen eines guten Lebens (in dem Sorgen und Nöte geteilt werden). Sie ist jenseits von Willkommen und Kultur.
Keine Spaltung in gute und schlechte Flüchtlinge!
Sorgfältige Prüfung und Anerkennung von individuellen Fluchtgründen – Bleiberechte für Roma auf der Flucht vor rassistischer Diskriminierung und politischer Verfolgung.
* Siebzig Jahre her. Es ist der 8. Mai, an dem Bundeskanzlerin Merkel von Erstaufnahmelagern spricht. Der 8. Mai 1945 ist in Deutschland der Tag, an dem der Befreiung von Nationalsozialismus und Faschismus gedacht wird.
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